Dieser Beitrag „Ab wann können Kinder reiten lernen“ ist für mich, als Inhaberin einer Kinderreitschule, seit Jahren überfällig. Regelmäßig erreichen mich Anrufe von Eltern mit pferdebegeisterten Kindern: „Meine Tochter ist vier Jahre alt und möchte gerne reiten lernen. Geht das?“ Viele Eltern möchten, dass ihre Kinder so früh wie möglich mit dem Reitunterricht beginnen, denn Reiten fördert das Gleichgewicht, die koordinativen und motorischen Fähigkeiten, das Verantwortungsbewusstsein und das Selbstbewusstsein.
Ich nehme in meiner Reitschule Kinder ab drei Jahren auf. Sie starten nach meinem Konzept mit dem „DAS Reitlernsystem Bambini“. Bei den Bambinis steht nicht das Reitenlernen im Vordergrund, sondern der Umgang mit dem Pferd und erste Übungen auf dem Pferd – kindgerecht und auf spielerische Art und Weise.
Viele andere Reitschulen nehmen Kinder erst ab sechs oder sieben Jahren auf, und das hat gute Gründe. Damit Kinder sicher, ausbalanciert und gelenkschonend im Sattel sitzen können, braucht es mehr als nur Begeisterung für die Pferde. Rumpfstabilität, ein ausgereiftes Gleichgewichtsgefühl und vor allem eine belastbare Wirbelsäule sind wichtige körperliche Voraussetzungen, die sich erst im Laufe der frühen Schulzeit richtig entwickeln.
In diesem Artikel erfährst du, ab wann Kinder wirklich reiten lernen können, welche körperlichen und emotionalen Faktoren dabei eine Rolle spielen – und was du mit jüngeren pferdebegeisterten Kindern machen kannst.
Ab wann können Kinder reiten lernen? – Die wichtigsten Faktoren auf einen Blick
Die Frage, „Ab wann können Kinder reiten lernen?“, lässt sich nicht pauschal mit einem bestimmten Alter beantworten. Ich habe Kinder bei mir in der Reitschule, die mit sechs Jahren schon in die nächste Stufe „DAS Reitlernsystem Kids“ wechseln können und wöchentlichen Reitunterricht erhalten. Andere Kinder sind bereits acht Jahre alt, aber so zierlich gebaut, dass noch nicht alle körperlichen Fähigkeiten für das Reiten lernen gegeben sind.
Daher ist es sinnvoll, das Reiten eher als einen Oberbegriff zu nutzen. Darunter lassen sich folgende Begrifflichkeiten einsortieren: Ponyreiten, Reitpädagogik und der klassische Reitunterricht. Das Ponyreiten ist bereits für Kleinkinder möglich, wobei das Pony im Schritt geführt wird und das Kind draufsitzt. Aktiv machen muss das Kind hier noch nichts. Bei den Reitpädagogischen Angeboten geht es vorrangig um erste Erfahrungen mit dem Pferd und Bewegungserfahrungen auf dem Pferd. Es geht um Gleichgewicht, Fühlen und Vertrauen, aber noch nicht um die Hilfengebung und im Prinzip die technischen Aspekte des Reitens.
DAS Reitlernsystem Bambini:
Meine Bambinis machen im Prinzip einen Mix aus Ponyreiten und Reitpädagogik. Wir starten immer mit dem Putzen im Stall und danach geht es auf das Pony. Die Kinder reiten geführt und müssen kleiner Aufgaben bewältigen, die den Sitz und das Gleichgewicht schulen. Kindern, die schon länger bei uns sind, erklären wir durchaus auch schon mal, wie man eine Schenkelhilfe gibt und was man mit seinem Gewicht machen kann, und wie sich das auf das Pferd auswirkt.
Beim klassischen Reitunterricht geht es dann darum, nicht mehr nur passiv auf dem Pferd zu sitzen, sondern aktiv mit seinem Sitz und den Hilfen auf das Pferd einzuwirken. Das erfordert koordinierte Bewegungsabläufe und Körperspannung. Dabei ist nicht das Alter entscheidend, sondern vor allem die körperliche und geistige Entwicklungsstufe des Kindes. Erst wenn das Zusammenspiel von Muskulatur, Haltung, Aufmerksamkeit und Selbstregulation ausreichend ausgereift ist, kann Reiten im eigentlichen Sinn gelernt werden.
Körperliche Voraussetzungen: Wann ist der Kinderkörper bereit fürs Reiten?
Reiten ist eine Sportart, die von außen oft belächelt wird: Du sitzt da nur drauf. Das Pferd muss alles machen. Das ist gar kein Sport. Nach außen sieht Reiten oft mühelos und einfach aus. Doch wer selbst im Sattel sitzt, merkt schnell, wie viel Körperbeherrschung und Muskelarbeit dahintersteckt. Besonders für Kinder stellt das Reiten eine hochkomplexe körperliche Herausforderung dar. Damit sie sicher und vor allem ohne körperliche Schäden reiten lernen können, müssen bestimmte Grundlagen erfüllt sein.
1. Rumpfstabilität – die Basis für einen ausbalancierten Sitz
Ein stabiler Rumpf ist die Voraussetzung dafür, dass Kinder die Bewegungen des Pferdes mitschwingen können, ohne sich dabei verkrampft mit den Beinen festzuhalten oder das Gleichgewicht zu verlieren. Die dafür nötige tiefliegende Haltemuskulatur – insbesondere im Bauch, Rücken und Beckenboden – entwickelt sich im Laufe der frühen Kindheit und ist meist erst ab dem 6. oder 7. Lebensjahr ausreichend ausgereift.
Fehlt diese Stabilität, führt das nicht nur zu einem unsicheren Sitz, sondern kann langfristig auch zu Fehlhaltungen und muskulären Dysbalancen führen. Kinder, die zu früh reiten, neigen oft dazu, sich festzukrallen, und das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass sie körperlich noch nicht bereit sind.
2. Die Wirbelsäule im Wachstum – warum Vorsicht geboten ist
Die kindliche Wirbelsäule befindet sich im ständigen Umbau. Geboren werden wir mit einer C-förmigen Wirbelsäule. Die doppelte S-Form der Wirbelsäule, wie wir sie beim Erwachsenen kennen, entwickelt sich erst allmählich. Belastungen durch das Reiten, vor allem im Trab oder Galopp, da hier besondere Stöße auf den Körper wirken, können bei jungen Kindern zu einer Überforderung der Wirbelkörper und Bandscheiben führen.
Praxistipp:
In meiner Reitschule wird beim Bambinireiten überwiegend geführt und im Schritt geritten, was ich dir absolut empfehle für kleine Kinder. Natürlich wollen die Kinder gerne auch mal schneller reiten, was wir je nach Kind auch mal über einen kurzen Abschnitt machen. Aber eben nicht zehnmal hintereinander und in jeder Stunde. Es gibt Dutzende andere Möglichkeiten, eine Reitstunde für kleine Kinder abwechslungsreich und spannend zu gestalten.
3. Gleichgewicht & Koordination – ab wann Kinder mithalten können
Reiten ist ein Sport, der das Gleichgewicht ständig herausfordert. Kinder müssen lernen, sich auf dem Pferderücken auszubalancieren und das bei jedem Schritt, den das Pferd macht. Später müssen sie die Hilfengebung erlernen und wie sie ihren Körper, die Beine und die Hände gezielt, aber unabhängig voneinander, einsetzen können. Diese Art der Koordination ist sehr komplex und erst im Schulalter ausreichend entwickelt.
Praxistipp:
Im Schritt kannst du schon sehr viele Gleichgewichtsübungen mit den Kindern machen. Lass die Kinder die Arme zur Seite strecken, wie ein Flugzeug, oder nach oben, um Äpfel zu pflücken, oder nach unten, um Möhren einzusammeln. Integriere außerdem Pylonen oder Stangen, denn Kinder lieben es, Parcoure zu reiten.

Psychische und emotionale Reife: Können Kinder den Reitunterricht verstehen?
Neben den körperlichen Grundlagen fordert das Reitenlernen auch einiges auf psychischer Ebene. Reiten ist eine Teamsportart, mit dem großen Unterschied, dass der Sportpartner vier Beine und Fell hat, nicht unsere Sprache spricht und im Zweifel stärker ist als wir. Wer reiten lernt, übernimmt Verantwortung für ein hochsensibles Tier, welches klare Signale und einen fairen Umgang braucht. Konzentration, Einfühlungsvermögen und Frustrationstoleranz sind dabei genauso wichtig wie ein stabiler Sitz im Sattel.
1. Konzentrationsfähigkeit – eine Voraussetzung für sicheres Lernen
Kinder unter sieben Jahren haben eine begrenzte Aufmerksamkeitsspanne. Sie lassen sich leicht ablenken und können Anweisungen nicht über längere Zeit gezielt umsetzen. Im Reitunterricht ist das jedoch entscheidend, denn die Sicherheit für Kind und Pferd hängt davon ab, dass die Kinder zuhören, verstehen und entsprechend handeln können.
Erst mit dem Eintritt ins Schulalter entwickelt sich die Fähigkeit, über einen längeren Zeitraum konzentriert zu bleiben und entsprechende Anweisungen durch den Reitlehrer umzusetzen. Dies ist die Basis für das Erlernen des Reitersitzes und der Hilfengebung.
2. Frustrationstoleranz & Selbstregulation – nicht immer klappt alles sofort
Reiten lernen bedeutet auch: Üben, Fehler machen und Geduld haben. Es wird immer Reitstunden mit Unsicherheiten, Missverständnissen oder Rückschritten geben. Das ist ganz normal, aber das auszuhalten und trotzdem motiviert zu bleiben, erfordert eine gewisse emotionale Reife.
Viele Kinder unter sieben Jahren reagieren bei Misserfolgen noch mit Tränen, Rückzug oder Trotz. Selbstregulation, also der Umgang mit eigenen Emotionen in schwierigen Situationen, entwickelt sich stufenweise – meist zwischen dem sechsten und achten Lebensjahr.
Praxistipp:
Mit kleinen Kindern kannst du während des Reitens auch besprechen, ob es dem Pony jeden Tag gleich gut geht und ob das Pony merkt, wenn es uns nicht gut geht. Hier kannst du die Kinder dafür sensibilisieren, dass Reiten mit einem Lebewesen stattfindet und nicht mit einem Sportgerät.
3. Verantwortung und Tierverständnis – ein reifer Umgang mit dem Pferd
Pferde sind keine Kuscheltiere, ein Satz, den ich immer wieder sage, wenn eines meiner Bambini-Kinder gerade wieder den ganzen Ponykopf in den Arm nehmen will. Kinder müssen lernen, dass Pferde sensible Lebewesen mit eigenen Bedürfnissen sind. Sie müssen lernen, wie man sich um ein Pferd kümmert, wie man die Körpersprache versteht und wie wichtig ein fairer Umgang ist.
Dazu braucht es Einfühlungsvermögen, vorausschauendes Denken und Rücksichtnahme. Auch das sind Fähigkeiten, die sich erst im Grundschulalter stabil entwickeln. Kleinere Kinder können zwar viel Freude am Kontakt mit Pferden haben, verstehen aber oft noch nicht, warum bestimmte Regeln wichtig sind oder welche Konsequenzen ihr Verhalten hat. Genauso wenig sind sie in der Lage, Gefahrensituationen einzuschätzen oder vorausschauend zu handeln.
Warum das 7. Lebensjahr ein idealer Einstiegspunkt ist
Das siebte Lebensjahr ist ein guter Einstieg in den klassischen Reitunterricht, in dem dann mit Sitz- und Gleichgewichtsübungen an der Longe begonnen wird. Nach und nach kommt dann die Hilfengebung dazu, sodass die Einwirkung auf das Pferd durch das Kind immer aktiver wird.
DAS Reitlernsystem Kids:
In meiner Reitschule nehme ich Kinder ab sieben Jahren in den klassischen Reitunterricht. Dennoch ist das Alter des Kindes am Ende nur eine Zahl und nur weil ein Kind sieben Jahre alt ist, heißt es noch lange nicht, dass es schon bereit ist für den Reitunterricht. Es gibt Kinder, die zwar sieben sind, aber sehr klein und zart, was natürlich gewisse Schwierigkeiten beim Reitenlernen mit sich bringt. Mit diesen Kindern kann man trotzdem schon sehr viel an der Longe erarbeiten, was sie später brauchen.
1. Mit sieben Jahren erfolgt ein Entwicklungssprung
Dass das siebte Lebensjahr als gutes Einstiegsalter gilt, ist nicht willkürlich. Die meisten Kinder machen in dieser Zeit einen großen Entwicklungsschub, sowohl körperlich als auch psychisch. Die Rumpfmuskulatur ist so weit entwickelt, dass die Kinder ihren Oberkörper gezielt stabilisieren können und auch die Wirbelsäule belastbarer ist – vor allem, wenn wir da an die Stöße im Trab und Galopp denken. Die Kinder können sich nun schon etwa 30 Minuten am Stück konzentrieren und sich selbst kontrollieren, was für den Reitunterricht sehr wichtig ist.
Diese Entwicklungsschritte sind essenziell, damit das Kind keine körperlichen Schäden vom Reiten davonträgt und ohne Überforderung das Reiten erlernen kann. Aus meiner Erfahrung heraus kann ich sagen, dass die Kinder früher oder später noch lernen müssen, mit Rückschlägen und Frust umzugehen, denn unser Sportpartner ist ein Lebewesen – und das funktioniert nicht jeden Tag gleich.
2. Schulstart und Reitbeginn: Warum das gut zusammenpasst
Der eben beschriebene Entwicklungssprung fällt nicht zufällig mit dem Schulstart zusammen. Kinder, die in die Schule gehen, sind es gewohnt, zuzuhören und danach zu handeln. Das Gleiche wird im Reitunterricht verlangt: Zuhören, Umsetzen, Fehler besprechen und nochmal probieren.
Mit dem Eintritt in die Schule lernen Kinder immer mehr, sich zu organisieren, und sie sind in der Lage, immer mehr Verantwortung zu übernehmen. Auch dies ist eine wichtige Voraussetzung für den Umgang mit einem Pferd, denn der Ablauf einer Reitstunde ist immer gleich oder zumindest sehr ähnlich.

Was Kinder vor dem Reitunterricht machen können und sollten
Bevor Kinder mit dem eigentlichen Reitenlernen beginnen, können sie auf vielfältige Weise sinnvoll und altersgerecht an das Pferd herangeführt werden und dabei wichtige Dinge lernen, die sie später brauchen. Gerade im Vorschulalter geht es nicht um die Technik, sondern vielmehr um Erlebnisse mit den Pferden, den Beziehungsaufbau und erste Bewegungserfahrungen auf dem Pferderücken.
Für kleine Kinder steht der Umgang mit dem Pony, das Erleben und Mitmachen im Vordergrund. Das Putzen, Führen und Streicheln schafft Vertrauen. Gleichzeitig werden dabei die motorischen Fähigkeiten und soziale Kompetenzen gestärkt.
Praxistipp:
Ein Pony zu führen ist für kleine Kinder sehr anspruchsvoll: Den Strick richtig in der Hand zu halten, nicht vor dem Pony zu laufen und nicht über die eigenen Füßchen stolpern. Um das Kind dabei bestmöglich zu unterstützen, kannst du an einem Halfter auf beiden Seiten einen Strick einhängen. Einen Strick nimmst du zum Führen und den anderen das Kind.
Eine hervorragende Möglichkeit, Kinder behutsam auf das spätere Reiten vorzubereiten, bieten zahlreiche Sitz- und Gleichgewichtsübungen. Das Pony wird dabei im Schritt geführt. Durch diese Übungen wird spielerisch das Gleichgewicht, die Körperspannung und die Koordination gefördert.
Praxistipp:
Du darfst kreativ sein und die Übungen bildlich darstellen. Beide Arme zur Seite strecken, kann beispielsweise ein Flugzeug sein. Dabei dürfen die Kinder ihren Oberkörper ruhig auch wie ein Flugzeug bewegen. Oder die Arme nach oben strecken, um Äpfel zu pflücken. Soll sich das Kind nach vorne strecken, kannst du fragen, ob es die Pferdeohren berühren kann.
In den Ponyreitstunden darf Bewegung und Spaß im Vordergrund stehen, allerdings immer ohne Belastung der Wirbelsäule. Das muss auch nicht immer auf dem Pferd sein. Die Kinder haben genauso viel Spaß, wenn sie beispielsweise durch einen Geschicklichkeitsparcours laufen dürfen. Balancieren, Hüpfen, Klettern oder Turnen fördern das Körpergefühl und stärken die Rumpfmuskulatur. So wird das Kind optimal auf die körperlichen Anforderungen beim Reiten vorbereitet. Gleichzeitig wird die kindliche Freude an der Bewegung bewahrt.
Reiten lernen zur richtigen Zeit bringt Sicherheit und Freude
Damit das Reitenlernen positiv und ohne körperliche Schäden erfolgt, sollte der Einstieg zum richtigen Zeitpunkt erfolgen. Das siebte Lebensjahr gilt dabei als guter Richtwert. Erst dann sind die nötige Rumpfstabilität, Konzentration und motorische Kontrolle ausreichend entwickelt.
Das bedeutet aber nicht, dass jüngere Kinder keinen Kontakt zum Pferd haben dürfen. Ganz im Gegenteil, denn spielerische Angebote, Ponystunden und erste Übungen auf dem Pferd sind sehr gute erste Schritte für zukünftige Reiter. Entscheidend dabei ist, dass Spaß, Sicherheit und eine gesunde Entwicklung im Mittelpunkt stehen. Und nicht irgendein sportlicher Ehrgeiz oder zu hohe Erwartungen.
Wer Kinder behutsam fördert statt überfordert, legt den Grundstein für eine starke, vertrauensvolle Beziehung zum Pferd und das ist das Allerwichtigste für unsere Pferdemenschen von morgen.

Titelbild: Albrecht Zarse